Interview Mirco Wöllenstein: „Wir erwarten steigende Nachfrage nach großformatigen und komplexen Aluminiumgussteilen.“
21.08.2024 Lightweight Trend Druckgussprodukte Interview

Interview Mirco Wöllenstein: „Wir erwarten steigende Nachfrage nach großformatigen und komplexen Aluminiumgussteilen.“

Das Werk Kassel mit seinen 15.500 Beschäftigten ist das weltweit größte Komponentenwerk von Volkswagen. Gleichzeitig beherbergt es die größte Leichtmetall-Gießerei Europas, die kürzlich zum „Kompetenz-Center Großguss“ aufgewertet wurde. EUROGUSS 365 interviewte Gießereichef Mirco Wöllenstein zur Funktion und Zukunft des Großgusses bei VW.

Mirco Wöllenstein, Leiter der VW-Gießerei Kassel. Mirco Wöllenstein, Leiter der VW-Gießerei Kassel

Herr Wöllenstein, Sie leiten die größte Druckgießerei Europas. Verraten Sie uns bitte ein paar Kennzahlen, damit wir besser verstehen, um welche Dimensionen es hier geht. 

Mirco Wöllenstein: Wir verarbeiten über 80.000 Tonnen Aluminium im Jahr - täglich bis zu 20 Tonnen Aluminiumspäne, die wieder eingeschmolzen und wiederverwertet werden. Wir haben eine Produktionskapazität von über sechs Millionen Teilen im Jahr, darunter Zylinderkurbelgehäuse, Kupplungs- und Getriebegehäuse sowie E-Antriebsgehäuse. Mit über 1.200 Mitarbeitern und einer Fläche von 50.000 Quadratmetern gehören wir zu den führenden Akteuren in der Branche.

Im Februar 2024 war der Konzern-Vorstand in Kassel, um das „Kompetenz-Center Großguss“ zu eröffnen. Was bedeutet das für den von Ihnen geführten Bereich?

Wöllenstein: Das im Februar 2024 eröffnete Kompetenz-Center Großguss in Kassel wird eine zentrale Rolle im Konzern spielen. Es soll als Innovations- und Entwicklungszentrum fungieren, um die Fertigungstechnologien für Großgussteile weiter zu optimieren und neue Produktionsmethoden zu entwickeln. Dies wird uns ermöglichen, komplexere und größere Bauteile mit höherer Präzision und Effizienz zu produzieren.

Welche Teile werden Sie künftig in Kassel herstellen und in welche Fahrzeuge werden sie eingebaut?

Großformatiges Strukturbauteil für den Einbau in Elektrofahrzeuge.
Wöllenstein: In der Volkswagen Group Components Gießerei in Kassel werden wir künftig insbesondere großformatige Strukturbauteile für Elektrofahrzeuge produzieren. Diese Teile werden in verschiedenen Modellen unserer Konzernmarken eingebaut, darunter auch in die neuen vollelektrischen Modelle von Volkswagen, Audi und Porsche.

Gehen Sie dabei technologisch neue Wege? Und werden Sie dazu noch größere Maschinen anschaffen, wie dies Wettbewerber getan haben?

Wöllenstein: Ja, wir gehen technologisch neue Wege, planen aber nicht, größere Maschinen zu installieren. Aktuell ist es nicht vorgesehen, Maschinen mit 9.000-Tonnen-Schließkraft zu installieren. Allerdings investieren wir in bestehende Anlagen, die uns ermöglichen werden, noch größere und komplexere Teile zu fertigen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Druckguss ist ein komplexer Prozess und je größer die Teile, desto schwieriger ist seine Handhabung. Wo sehen Sie hier aktuell noch ungelöste technische Probleme?

Wöllenstein: Eine der größten Herausforderungen ist die Wärmebehandlung und das Spannungsmanagement innerhalb der Gussteile, um Risse und Verformungen zu vermeiden. Außerdem sind die exakte Steuerung des Gießprozesses und die Gewährleistung gleichmäßiger Materialeigenschaften bei großen Bauteilen technisch anspruchsvoll.

Bei dem Trend zu immer größeren Teilen muss die Frage nach der Wirtschaftlichkeit gestellt werden. Wie beurteilen Sie diese?

Volkswagen-Werk in Kassel.
Wöllenstein: Die Wirtschaftlichkeit großer Teile hängt stark von der Effizienz der Produktionsprozesse ab. Durch die Verwendung von hochautomatisierten und präzisen Maschinen können wir die Produktionskosten senken und die Qualität erhöhen. Zudem ermöglichen größere Bauteile eine Reduzierung der Teileanzahl im Fahrzeug, was die Montagekosten senkt und die Wirtschaftlichkeit verbessert. Die Wirtschaftlichkeit entscheidet sich mit den Konzepten der künftigen Fahrzeugmodelle.

Es heißt, die Produktion in Kassel soll bis spätestens 2040 CO2-neutral sein. Wie kann das im Bereich der Gießerei gelingen?

Wöllenstein: Unser Ziel, die Produktion in Kassel bis 2040 CO2-neutral zu gestalten, erfordert umfassende Maßnahmen. Dazu zählen der Einsatz erneuerbarer Energien, die Verbesserung der Energieeffizienz und die Recyclingquote von Aluminium. Der Lehrstuhl Gießerei der Universität Kassel unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Fehlbier unterstützt uns mit individuellen Entwicklungsplänen, um nachhaltige Produktionsmethoden zu implementieren und innovative Technologien zu nutzen.

Die technologische Entwicklung schreitet fort. Wo sehen Sie den Druckguss bei VW bzw. bezogen auf die gesamte Automobilindustrie in zehn Jahren?

Wöllenstein: In zehn Jahren wird der Druckguss eine noch bedeutendere Rolle in der Automobilindustrie spielen. Wir erwarten, dass durch den verstärkten Einsatz von Leichtbaukomponenten und die zunehmende Elektrifizierung der Fahrzeuge die Nachfrage nach großformatigen und komplexen Aluminiumgussteilen weiter steigen wird. Wir sehen den Druckguss als Schlüsseltechnologie für die Herstellung leichter, sicherer und effizienter Fahrzeuge. Bei Druckgussmaschinen größer 4.000 Tonnen ergibt die Produktion nur direkt am Fahrzeugbau Sinn. Wir werden als Gießerei in Kassel beim erfolgreichen Rollout mit unserem Know-how unterstützen.

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