Gigacasting bei Handtmann: „Wir könnten mehr Aufträge annehmen, als wir aktuell Kapazitäten haben.“
30.01.2025 Lightweight Trend Fachbericht

Gigacasting bei Handtmann: „Wir könnten mehr Aufträge annehmen, als wir aktuell Kapazitäten haben.“

Als erster europäischer Tier-1 ist die Handtmann Gruppe ins Gigacasting eingestiegen. Seit 25. Oktober 2024 wird in Biberach auf der Bühler Carat 610 extended produziert. Vorausgegangen war eine enorme Investition in die neue Technik, die Vorbildcharakter für die Branche haben könnte. Aktuell werden bei Handtmann drei Serienteile – zwei Batteriewannen und ein Strukturbauteil – für namhafte OEMs hergestellt. EUROGUSS 365 sprach mit Dirk Seckler, Geschäftsführer Leichtmetallguss, über die weitere Entwicklung.

Gigacasting Maschine
Dirk Seckler Dirk Seckler

Herr Seckler, was bedeutet der erfolgreiche Einstieg ins Gigacasting für den Weg der Firma Handtmann zum „innovativen Kompetenz- und Lösungsanbieter“?

Dirk Seckler: Unsere Vision ist es, uns vom Build-to-Print- zum Lösungsanbieter zu entwickeln – Transformation durch Innovation. Hierzu bieten wir zusammen mit Partnern und Kunden Lösungen an, die einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil bieten und aktuell noch nicht am Markt verfügbar sind. Als Anbieter von Gigacasting können wir Bauteile „in einem Guss“ herstellen, die bisher klassisch geschweißt wurden.

 

Das bedeutet die Herstellung von nur einem Bauteil, das bisher aus ca. 130 Einzelbauteilen bestand. Hierdurch lassen sich Kostenvorteile bis zu 30 Prozent und Gewichtsvorteile bis zu 20 Prozent erzielen. OEMs haben außerdem enorme Vorteile im Lieferanten- und Änderungsmanagement. Mit dem Einstieg ins Gigacasting überspringen wir bei Handtmann eine Evolutionsstufe. Gigacasting ist aktuell die Championsleague im Druckguss.

 

Viele OEMs haben sicher aufmerksam registriert, dass Sie in die neue Technologie eingestiegen sind. Stellen Sie schon eine gesteigerte Nachfrage von deren Seite fest?

Dirk Seckler: Ja, wir spüren ein enormes Interesse und Potenzial. Wir könnten schon jetzt mehr Aufträge annehmen, als wir aktuell Kapazitäten haben. Und wir sehen, dass auch Marktbegleiter ins Gigacasting einsteigen. Das ist ein gutes Zeichen, Wettbewerb ist immer gut. Somit entspannt sich auch die Situation um fehlende Produktionskapazitäten, was aktuell eine der größten Einstiegsbarrieren war.

Werden Sie andere Unternehmensstandorte, etwa Ihre Anlagen in China, entsprechend aufrüsten?

Dirk Seckler: In China gibt es aktuell im Markt mehr als 110 sogenannte Gigacasting-Maschinen. Deren Auslastung beträgt aber nur 30 Prozent, das heißt es bestehen massive Überkapazitäten. Vor diesem Hintergrund macht es für uns keinen Sinn, damit nach China zu gehen. In Europa und den USA planen wir allerdings tatsächlich den Aufbau von Kapazitäten – an welchen Standorten wird man sehen.

Gigacasting Maschine Auf der neuen Maschine können Teile bis zu zwei Meter Länge gegossen werden.

Die Transformation zur Elektromobilität läuft langsamer ab, als gewünscht und erwartet. Macht Ihnen das Sorge?

Dirk Seckler: Das macht uns keine Sorge, aktuell partizipieren wir sehr stark an der Nachfrage nach Verbrennerfahrzeugen. Die Prognosen in Europa zeigten in den letzten Jahren einen Anstieg von reinen BEV-Fahrzeugen in 2030 von 21 Prozent auf 64 Prozent. Zum Vergleich: China prognostiziert im gleichen Zeitraum einen Anteil von ca. 41 Prozent. Wir haben die Wachstumszahlen im Europa kritisch hinterfragt und uns entschieden, dass wir die Entwicklung der E-Mobilität wesentlich kritischer sehen. In dieser Strategie sehen wir uns nun bestätigt. Wir rechnen hierzulande mit einer Elektrifizierungsquote im Jahr 2030 zwischen 40 und 50 Prozent. Entscheidend wird auch sein, was in den Märkten außerhalb von Europa passiert.

 

Wie komplex oder schwierig war die Bau-/Erprobungsphase Ihrer Gigacasting-Anlage? Lief das alles unproblematisch?

Dirk Seckler: Ganz ohne Probleme geht so etwas nie, vor allem wenn Sie Gigacasting in die bestehende Produktionslandschaft integrieren. Bei einigen Annahmen und Berechnungen mussten wir nachjustieren. Alles in allem konnten wir aber den Zeit- und Projektplan einhalten. An dieser Stelle nochmals ein großes Dankschön an das gesamte Team. Das war eine Megaleistung.

 

Wie lautet Ihr Ausblick zum Thema Gigacasting bei Handtmann?

Dirk Seckler: Das Wichtigste ist, dass der Business Case ca. 20 bis 30 Prozent günstiger ist als die bisherigen Verfahren. Das ist die Basis, um die teilweise hohen Investitionen ins Gigacasting zu rechtfertigen. Gigacasting hat das Potenzial, die Druckgussbranche zu revolutionieren.

 

Vielen Dank für Das Gespräch!

 

Weltweit tätiges Familienunternehmen

Handtmann Mitarbeiter stehen nebeneinander und schauen in die Kamera Am 25. Oktober 2024 wurde zum ersten Mal ein Serienteil auf der neuen Maschine gegossen.

Handtmann ist die größte familiengeführte Leichtmetallgießerei in Europa mit Hauptsitz in Biberach an der Riss und fünf Produktionsstandorten in Deutschland, der Slowakei und China. Durch die Inbetriebnahme der Carat 610 extended mit 61.000 kN Schließkraft und einem Schussgewicht von bis zu 128 kg Aluminium ist Handtmann in die Produktion großer Strukturteile eingestiegen. Für Elektrofahrzeuge können große Batteriegehäuse oder -rahmen mit bis zu zwei Metern Länge in Aluminium hergestellt werden. Auch komplette Vorder- oder Hinterwagen eines Automobils können jetzt in einem Stück gegossen werden.

Zwei Mikrofone werden von einer Frau gehalten

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