Experteninterview zu Megacasting: "Enge Zusammenarbeit zwischen Gießereien und OEMs ist entscheidend"
Megacasting verleiht der Druckgussbranche nicht nur neue Dynamik, sondern stellt die Wertschöpfungskette gleich ganz auf den Kopf. Während China vorprescht, zögert Europa weiterhin – mit ungewissen Folgen? Ein Gespräch mit Mathieu Bernard und Bernhard Langefeld von Roland Berger über das Potenzial, die Herausforderungen und die Zukunft großer Druckgussteile (HPDC, High-Pressure Die Casting) – auch bekannt als Megacastings – gesprochen.
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Herr Bernard, Herr Langefeld, Sie haben beide an der aktuellen Studie von Roland Berger über die Entwicklung des HPDC mitgewirkt. Im Fokus stand Megacasting. Was war der Ausgangspunkt dieser Untersuchung, Herr Bernard?
Mathieu Bernard: Unsere Studie ist ein Follow-up zu einer früheren Analyse, in der wir bereits die wachsende Bedeutung von Megacastings für die Automobilindustrie prognostiziert hatten. Diesmal haben wir uns stärker darauf konzentriert, wie Megacastings die Wertschöpfungskette verändern und wie Europa im Vergleich zu China und anderen Märkten diese Technologie adaptiert.
Was sind die zentralen Erkenntnisse der Studie im Hinblick auf die Wertschöpfungskette?
Mathieu Bernard: Wie so oft wird es Gewinner und Verlierer geben. Bisher wurden viele kleine Bauteile einzeln gefertigt und anschließend montiert oder verschweißt. Mit Megacastings entfallen zahlreiche dieser Montageprozesse. Abhängig vom OEM können so anstelle von etwa 100 geschweißten Komponenten einzelne große Druckgussteile eingesetzt werden.
Dadurch ändert sich viel in der Industrie, die ohnehin unter wachsendem Druck steht, insbesondere im Bereich Stanzen, Schweißen und automatisierte Prozesse. Unternehmen müssen diese Entwicklung genau beobachten und entsprechend reagieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Gleichzeitig entstehen neue Geschäftsfelder, etwa in der Fertigung großer Gussformen oder der Optimierung von Legierungen für den Hochdruck-Druckguss. Auch für Hersteller von Gigapress oder Aluminium könnten sich hier spannende und lukrative Möglichkeiten ergeben.
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Wie sieht die Entwicklung im globalen Vergleich aus, Herr Langefeld?
Bernhard Langefeld: Megacastings werden von drei wesentlichen Faktoren getrieben: Erstens von der operativen Effizienz, zweitens von der Errichtung neuer sogenannter „Greenfield“-Werke ohne bestehende Altlasten und drittens von der Materialeffizienz, die sowohl regulatorische Anforderungen als auch die Reichweitenerwartungen bei Elektrofahrzeugen (Recyclingfähigkeit und Gewicht des Aluminiums) erfüllen muss.
Bisher wurden weltweit über 180 Giga-Pressen bestellt – nicht nur von OEMs, sondern auch von Zulieferern. Unsere Studie zeigt, dass bis 2030 rund 25 Millionen Megacasting-Komponenten in China, Nordamerika, Japan, Korea und Europa produziert werden.
China ist klarer Vorreiter und setzt Megacastings bereits in zwölf Fahrzeugplattformen ein. Im Vergleich dazu nutzen Nordamerika sechs, Japan und Korea ebenfalls sechs und Europa lediglich vier Plattformen diese Technologie.
Europa hinkt also hinterher?
Mathieu Bernard: Europa verfügt über starke technologische Expertise, insbesondere durch weltweit führende Unternehmen im Bereich der Druckgussmaschinen. Die Herausforderung liegt weniger in der Technologie als vielmehr in der bestehenden Infrastruktur der OEMs.
Neue Marktteilnehmer integrieren Megacastings von Anfang an in ihre Produktion, da sie nicht durch bestehende Fertigungssysteme oder Designs eingeschränkt sind. Sie setzen direkt auf Greenfield-Anlagen. Etablierte europäische und nordamerikanische Automobilhersteller hingegen agieren zurückhaltender, da sie bereits bestehende Produktionslinien haben, die oft noch nicht vollständig amortisiert sind. Diese Werke umzurüsten ist kostenintensiv und risikobehaftet, was die langsamere Adaption im Westen erklärt.
Können Sie die Herausforderungen etwas konkretisieren?
Mathieu Bernard: Wir identifizieren vier zentrale Herausforderungen. Erstens sind die Ausschussquoten mit bis zu 50 Prozent noch zu hoch, sodass eine Verbesserung der Prozesskontrolle und der Legierungsentwicklung notwendig ist.Zweitens sind die Investitionskosten für die Implementierung erheblich. Die Entwicklung von Megacasting-Produktionslinien kostet zwischen 60 und 80 Millionen Euro, was in einer Phase hoher finanzieller Zurückhaltung eine große Hürde darstellt.
Drittens stellt die Reparatur von Megacastings eine Herausforderung dar, sowohl für Werkstätten als auch für Versicherungen. Beschädigte Bauteile sind schwer zu reparieren und führen zu höheren Kosten. Viertens sind Werkzeugwechsel und nachgelagerte Bearbeitungen – vor allem das Fräsen – teuer, sodass effizientere Formdesigns entwickelt werden müssen.
Gefährdet diese langsamere Entwicklung die europäischen Standorte?
Mathieu Bernard: Megacastings sind große und schwere Komponenten, sodass ein Transport über weite Strecken wenig sinnvoll ist. Das bedeutet in der Praxis, dass Gießereien näher an den Endmontagewerken angesiedelt sein müssen. Daher sehe ich die europäische Industrie nicht unmittelbar bedroht.
Bernhard Langefeld: Wir erwarten keinen plötzlichen Wechsel auf Megacastings, sondern vielmehr einen schrittweisen Ausbau mit neuen Modellen, neuen Produktionsstätten oder der Modernisierung bestehender Werke. Nicht jedes Fahrzeug wird Megacastings nutzen, doch für bestimmte Anwendungen – etwa Front- und Heckmodule oder sogar Batteriekästen – bietet die Technologie großes Potenzial.
Wir fragen mal ganz naiv: Bedeutet das, man kann den Hype ignorieren und aussitzen?
Mathieu Bernard: Das wäre ein schwerwiegender Fehler. Wir gehen davon aus, dass Megacastings bis 2030 nicht nur von einigen Pionieren genutzt werden, sondern auch in der Serienproduktion etablierter OEMs Einzug halten. Die meisten haben bereits Megacasting-Pressen erworben und führen Pilotprojekte durch, um das Potenzial dieser Technologie auszuloten und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Unternehmen, die sich nicht frühzeitig mit den Implikationen befassen, werden später erhebliche Schwierigkeiten haben, sich anzupassen. Ich bin überzeugt, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Tier-1-Zulieferern und OEMs entscheidend sein wird, um die genannten Herausforderungen zu meistern. Wie bei jeder neuen Technologie werden OEMs sie zunächst intern testen und dann auf ihr bewährtes Zuliefernetzwerk setzen, um sie weiterzuentwickeln.