HPDC Coffee Talk 2: „Wo geht die Reise hin?“ über aktuelle Themen mit den Entscheidern der Branche
Die weltweite Entwicklung der Aluminium-Druckgussindustrie ist aktuell in einem turbulenten Umfeld und befindet sich an einem historischen Meilenstein. Zu keinem Zeitpunkt der letzten 50 Jahre sind jemals so viele Herausforderungen und bedeutende Ereignisse gleichzeitig aufgetreten, wie das aktuell der Fall ist.
In einer Serie von 3 Coffee-Talks diskutiert Johannes Messer Consulting mit 4 Entscheidern der HPDC-Branche, wirtschaftliche, technologische und internationale Themen im Kontext der aktuellen Herausforderungen.
Das Thema des zweiten Talks:
„Wo geht die Reise technologisch hin für die europäische Aluminium Druckguss Branche? “
Messer: Sie haben schon das Thema technologische Entwicklung angesprochen. Ich habe einmal in einer anderen Runde gesagt, wir Europäer sind Weltmeister im Entwickeln, die anderen im Industrialisieren.
Wiedenegger: Ich glaube auch, dass unser wesentliches Problem nicht die fehlenden Innovationen sind. Mit der Industrialisierung der Innovationen tun wir uns häufig schwerer. Als Beispiel möchte ich das Thema Einsatz von additiv gefertigten Formeinsätzen nennen. In vielen Fällen sind die technologischen und wirtschaftlichen Vorteile offensichtlich (Standzeit, Zykluszeit, Qualität, …) der Kunde ist jedoch nicht immer zu überzeugen.
Heinrich: Das Thema ist mir nicht unbekannt. Auch wir Formenbauer haben immer wieder das Problem, dass es uns nicht gelingt Vorteile technologischer und wirtschaftlicher Innovationen am Ende auch in unseren Formen zu vermarkten.
Müller: Aus Diskussionen mit Ihnen allen weiß ich, dass wir das Thema ähnlichsehen. Auch wir Gießer sind von häufig von Innovationen bzw. neuen Technologien überzeugt. Die Herausforderungen sind aber oft höhere Investitionen und zusätzlicher Aufwand (Ressourcen) bei der Einführung, sowie natürlich ein „Rest-Erfolgs-Risiko“.
Messer: Dann müssen wir doch genau da ansetzen. Die Frage ist wie.
Mendler: Das sehe ich auch so. Die von Herrn Müller angesprochenen Herausforderungen müssen gelöst werden. Da die genannten Themen eine hohe unternehmerische Relevanz haben und zu erwartende Ergebnisse bei wesentlichen Innovationen einen großen Einfluss auf die Unternehmensergebnisse haben, ist dieses Thema nur unter Beteiligung des Top Managements zu behandeln und zu entscheiden. Gemeinsam müssen Projekte definiert, im kleinen Maßstab auf Versuchsanlagen getestet und anschließend im Produktionsumfeld implementiert werden.
Messer: Mit dem sich verändernden Produktportfolio und einem notwendigen kurzfristigen Fokus auf Verbesserung der Unternehmensergebnisse (OEE → EBITDA) sehe ich aktuell folgende Technologie- und Innovationsthemen im Fokus: Additive Fertigung, Minimalmengensprühen, Legierungsentwicklung und Rheocasting. Stimmen Sie bei dieser Aussage zu?
Heinrich: Soweit ich das beurteilen kann, sind das aktuell die wichtigsten Technologie Themen. Mit Blick auf die immer größer werdenden Formen ist das Thema Thermohaushalt natürlich extrem wichtig. Die genannten Technologien Additive Fertigung und Minimalmengensprühen haben beim Temperaturhaushalt der Formen eine hohe Bedeutung. Für einen erfolgreichen Einsatz dieser Technologien müssen jedoch auch die Voraussetzungen in der Gießerei geschaffen werden. Ein aus meiner Sicht häufig unterschätztes Beispiel hierfür ist die Aufbereitung von korrosionsfreiem entkalktem Wasser.
Wiedenegger: Ich stimme zu. Das sind die wesentlichen Themen. Die Technologien sind zwar nicht neu, aber gerade in Bezug auf die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen und die individuellen Anforderungen des stark wachsenden Marktes der Strukturteile, sind das die wesentlichen Technologiethemen, mit denen wir uns mit erster Priorität beschäftigen sollten.
Müller: Neben den genannten Technologien fehlen mir, mit Bezug auf unser Produktportfolio, Themen wie Salzkerne und Gasinjektion. Es bleibt festzuhalten, dass diese Technologien nur erfolgreich umsetzbar sind, wenn der Endkunde die Gießer bereits im Entwicklungsstadium einbezieht. Nur so kann eine erfolgreiche Industrialisierung gesichert werden.
Mendler: Es wird sicher Kollegen geben, die noch die ein oder andere Technologie nennen würden. Wie bereits erwähnt sehe ich im Bereich Rheocasting sehr große Chancen, einerseits die bestehenden Prozesse zu optimieren und anderseits neue Teile, wie zum Beispiel Fahrwerksteile im Druckgussverfahren herzustellen. Die Investitionen in unserem Versuchslabor sind abgeschlossen und stehen bereit für gemeinsame Versuche.
Unabhängig vom Thema bin ich überzeugt, dass Geschwindigkeit der bestimmende Faktor und Erfolgshebel ist – packen wir es gemeinsam an!
Messer: Geschwindigkeit und Flexibilität schlägt Tradition. Asien schlägt Europa. Stimmt das, Herr Mendler?
Mendler: Ob Asien Europa schlagen wird, werden wir in ein paar Jahren sehen. Ich denke, dass es zu einer globalen Umverteilung kommen wird. Unbestritten ist, dass die Agilität, die Flexibilität und die Risikobereitschaft in China deutlich grösser ist als in Europa. Die Entwicklungen und Investition in Asian, vor allem in China, der letzten 20 Jahre versinnbildlichen die Situation auf eine sehr beindruckende Art und Weise.
Die Transformation zur Elektromobilität wurde in China bereits vor vielen Jahren als Chance erkannt. Die Dominanz der traditionellen OEMs global zu durchbrechen, wird deshalb konsequent umgesetzt.
Messer: Ich habe Künstliche Intelligenz (KI) bewusst nicht bei den kurzfristigen Erfolgshebeln aufgeführt. Wie sehen Sie dieses Thema?
Heinrich: Ich habe kurz gezögert und wollte es in der Tat ergänzen. Aber Sie haben wahrscheinlich Recht. Mittelfristig sehe ich die künstliche Intelligenz jedoch im Druckguss als wesentlichen Erfolgshebel.
Müller: Themen wie KI oder Industry 4.0 sind sehr schnell ausgesprochen und diskutiert umso höher die Flughöhe ist, doch diese Technologien im produzierenden Gewerbe bzw. in dem Fall in der Druckgießerei, mit so vielen prozessbeeinflussenden Variablen zu industrialisieren ist durchaus eine große Herausforderung. Dennoch ist es die Zukunft.
Wiedenegger: Künstliche Intelligenz im Druckguss werden wir nur gemeinsam industrialisieren können. Es müssen alle Unternehmen integriert werden, die entsprechend der jeweiligen Aufgabenstellung prozessrelevante Daten liefern können. Viele Daten gibt es bereits aber nicht alle. Wenn wir z.B. an die OEE-Optimierung denken, sind gerade Formdaten (wie Temperatur, Druck …) wesentlich und diese sind häufig nicht vorhanden.
Heinrich: Die Herausforderung sehen wir. Das Thema der „intelligenten“ Druckgussform rückt in den Fokus. Die Komplexität und die Kosten der Form werden zunehmen, der zu erwartende Ergebnishebel wird dies jedoch überkompensieren. Auch hierbei liegt der Erfolg in der engen Zusammenarbeit zwischen Gießer, Maschinenhersteller, Formenbauer und Materiallieferant
Mendler: KI ist ein großer Begriff. Vor allem im Bereich Unterstützung der Produktionsmitarbeiter und zur Erhöhung der „Gutteile“ kann KI in Zukunft einen wichtigen Beitrag leisten.
Zuerst müssen jedoch die bereits angesprochenen Prozessdaten vorhanden und entsprechend aufbereitet werden. Im Bereich der Druckgussmaschine und den Peripheriegeräten innerhalb der Druckgusszelle sind diese bereits vorhanden und könnten entsprechend ausgewertet werden, was aktuell leider nur zum Teil genutzt wird. Erstaunlicherweise werden von der Form bisher sehr wenige Daten erfasst. Die von Herrn Heinrich angesprochene „intelligente“ Druckgussform ist wesentlich für den Einsatz und den Erfolg von KI im Druckguss.
Messer: Lassen Sie uns noch über GIGA-Casting sprechen. Tesla wird wohl zunächst bei drei Unterbodenteilen bleiben und nicht wie ursprünglich angekündigt in Richtung eines Teils entwickeln. Ist damit die von Herrn Mendler bei unserer letzten Runde angesprochene explosionsartige Entwicklung der Schließkräfte zunächst gestoppt?
Mendler: Entscheidend sind schlussendlich die wirtschaftlichen Vorteile bei der Body-in-White Herstellung. Der sogenannte „unboxed Process“ scheint aktuell ein Maximum an Flexibilität in der Fahrzeugmontage zu bieten.
Die Entwicklung hin zu noch größeren Schließkräften macht nur dann Sinn, wenn weitere technologische bzw. wirtschaftliche Vorteile entstehen. Das heißt, wir können diese Frage nur gemeinsam mit unseren Kunden beantworten. Total Cost of Ownership ist hierbei die wichtigste Kennzahl. Hierzu sind wir natürlich mit den OEMs und Tier1 im Austausch.
Persönlich glaube ich, dass die aktuellen Gießmaschinengrößen noch sehr viele Möglichkeiten bieten und wir diese unbedingt nutzen sollten.
Heinrich: Durch Mehrfachguss und Rheocasting werden wir das potenzielle zukünftige Produktportfolio erweitern und GIGA-Casting für viele weitere Anwendungen technologisch und wirtschaftlich interessant machen.
Geschätzte Herren, ich glaube wir könnten noch stundenlang weiterreden. Danke für den zweiten Coffee Talk und die positiven Signale für unsere Industrie. Ich freue mich auf unseren nächsten Austausch und gemeinsam mit Christopher Boss (NürnbergMesse) auf unser persönliches Treffen beim nächsten EUROGUSS Executive Circle am 02-03 Juli in Frankfurt.