Gegen die Regulierungswut auf allen Ebenen – ein Appell aus dem industriellen Mittelstand
19.08.2024 Branche & Märkte Expertenwissen

Gegen die Regulierungswut auf allen Ebenen – ein Appell aus dem industriellen Mittelstand

Gerd Röders, der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Metalle (WVMetalle), ordnet aktuelle Veränderungen ein, die von der EU-Kommission angestrebt werden. Ein wichtiger Punkt auf der Agenda der geplanten Veränderungen betrifft die Bürokratie. Für deutsche Unternehmen stellen bürokratische Vorgaben oft bedeutende Entwicklungshindernisse dar. Röders erläutert Probleme und mögliche Lösungsansätze.

Gerd Röders. Gerd Röders.

Bürokratieabbau, ein furchtbar anstrengendes Buzzword zu einem jahrzehntealten politischen Vorhaben mit ernüchternder Erfolgsbilanz. Der Bedarf nach echten Fortschritten ist umso größer. Denn bürokratische Hürden auf allen Ebenen gefährden Innovationskraft und Produktivität von Unternehmen in ganz Europa.

In ihrer Bewerbungsrede vor dem Plenum des Europäischen Parlaments am 18. Juli in Straßburg hat die wiedergewählte Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen dies zu einem zentralen Thema gemacht. Es ist gut, dass die EU-Kommission sich damit ausführlich beschäftigen möchte. Denn auch ein Großteil unserer nationalen Gesetzgebung hat inzwischen ihren Ursprung in Europäischen Richtlinien und Verordnungen. Green-Deal-Initiativen, wie etwa die Industrieemissionsrichtlinie (IED), die Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie (CSRD) und das EU-Lieferkettengesetz (CS3D), lassen insbesondere den europäischen Mittelstand in Papierkram ersticken, jedoch ohne die nötige Unterstützung bei der Umsetzung zu leisten. Insbesondere Berichtspflichten mit bis zu 1.000 Einzelaspekten bringen die Unternehmen an ihre Grenzen. 

Mit der neuen EU-Kommission soll sich nun einiges ändern: Die Themen Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau sind neue politische Schwerpunkte. Darunter fallen viele Initiativen, die auch für den Mittelstand gut klingen: ein Vizepräsident der EU-Kommission für Umsetzung, Vereinfachung –  kurz: Bürokratieabbau. Es sind jährliche Fortschrittsberichte aller Kommissare zu eben jenem Thema geplant sowie Wettbewerbs- und KMU-Checks. Auch soll es eine neue Definitionskategorie für kleine Midcap-Unternehmen geben – ein Thema, für das sich die WVMetalle besonders einsetzt, weil der heutige KMU-Schutz allzu oft durch die Hintertür ausgehebelt wird. Es bleibt abzuwarten, ob die EU-Institutionen spürbare Erleichterungen auf den Weg bringen werden.  

Aber nicht nur die europäische Ebene hat diesbezüglich Nachholbedarf. Auch die Bundes- und Landespolitik sowie die regionale Politik und Verwaltung muss den industriellen Mittelstand entlasten. Viele Unternehmen hierzulande sehen in der Bürokratie eines der größten Hemmnisse für ihre Entwicklung. 

Es ist daher wichtig, dass die Politik der zunehmenden Regulierungswut Einhalt gebietet und stattdessen Verordnungen abbaut. Echten Bürokratieabbau wird es nur durch Regulierungsabbau geben. Vorschläge dazu gibt es massenhaft: Eine der wichtigsten in Bezug auf die EU ist eine konsequente 1:1-Umsetzung von Regelungen auf nationaler Ebene. Die ambitionierte bundesdeutsche Praxis nach dem Motto „lass uns einfach noch eine Schippe drauflegen“ muss ein Ende haben. Nicht minder wichtig wäre es, neue Berichtspflichten zu unterlassen und auch in bestehenden Richtlinien und Verordnungen zu reduzieren. 

Auch auf Landes- und kommunaler Ebene bricht sich der Bürokratiewahnsinn Bahn. Beispiel Bauprojekte: In Berlin wartet man im Durchschnitt 30 Monate auf eine Baugenehmigung. Ein Bauherr in Bayern benötigt 73 verschiedene Formulare und muss 14 Behörden kontaktieren, um ein Einfamilienhaus zu bauen. Von Industrieprojekten ganz zu schweigen... 

Aber Bürokratie findet auch in der Wirtschaft selbst zunehmend statt. Es ist ohne Zweifel sinnvoll, als Kunde bestimmte Standards mit den eigenen Lieferanten zu vereinbaren. Solche sind in den einschlägigen Normen beschrieben. Mit der sog. “High Level Structure” haben die Verfasser dieser Normen versucht, einen Abgleich zwischen den Systemen, z.B. für die Qualität, die Umwelt oder die Arbeitssicherheit, zu schaffen. 

Schwierig sind dagegen zusätzliche Normanforderung, etwa für die Medizintechnik, den Flugzeugbau und die Automobilindustrie. Jeweils unterschiedliche Standards für jeden Rohstoff mögen zunächst sinnvoll erscheinen, in der Praxis sind die Unterschiede der einzelnen sog. Commodities jedoch marginal. Umso größer ist allerdings der Unterschied in Sachen Aufwand aufseiten der Zulieferer, die dann verschiedene Systeme pflegen, auditieren und schulen müssen. Hinzukommen umfangreiche Audits mit Begutachtungen, Maßnahmenplänen und schlimmstenfalls Sanktionen. Nicht selten handeln die Auditoren dem Geiste nach wie große Unternehmen und projizieren den Wunsch nach ähnlichen Strukturen auf die kleinen Betriebe. Damit nicht genug, kommen nun auch noch Forderungen nach Datensicherheit und Nachhaltigkeit hinzu. Das bekannte Muster „Norm plus eigene weitergehende Forderungen“ setzt sich fort.

Ist das noch verhältnismäßig, geschweige denn zielführend? Einen Sinn hinter all diesen Bestimmungen ist für Zulieferbetriebe nicht mehr zu erkennen. Denn die Wirtschaftsleistung der deutschen Industrie sinkt im internationalen Vergleich. Und auch Patentweltmeister sind wir schon lange nicht mehr. Immer mehr Betrieb wandern ab oder schließen gleich ganz. Ließe sich das Ruder nochmals rumreißen? Ja, aber was wir brauchen, ist weniger gängelnde Regulatorik, mehr Freiheit und mehr Zeit für unsere Ingenieure.

Zwei Mikrofone werden von einer Frau gehalten

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Autor

Gerd Röders

Gerd Röders

Geschäftsführender Gesellschafter - G.A.Röders GmbH & Co.KG and President - WirtschaftsVereinigung Metalle (WVMetalle)

G. A. Röders GmbH & Co. KG