Neues Denken für nachhaltige Lieferketten: Wie strategische Beschaffung die Transformation vorantreibt
05.12.2024 Branche & Märkte Expertenstimmen

Neues Denken für nachhaltige Lieferketten: Wie strategische Beschaffung die Transformation vorantreibt

Geopolitische Risiken, Fachkräftemangel, Digitalisierung, steigende Kundenerwartungen, Ressourcenknappheit und Klimawandel erfordern ein Umdenken und neue Geschäftsmodelle in der Druckgussindustrie. Dennoch werden die Anforderungen des Lieferkettengesetzes (LkSG) und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) häufig als reine Bürokratie angesehen, statt als Richtschnur für nachhaltige Transformation globaler Lieferketten. Dabei gibt es ohne Nachhaltigkeit keine widerstandsfähige Lieferkette mehr. Dies ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern vor allem ein strategisches Gebot für Unternehmen, die langfristig erfolgreich sein wollen.

Frachtschiff mit Containern für die Import- und Export-Logistik-Lieferkette, Seefracht, Luftaufnahme
Lisa Fröhlich hält Vortag auf der EUROGUSS

1. Lieferketten neu denken

Porters Value Chain (1986) muss grundlegend neu gedacht werden: Die traditionelle Prozesskette, von der Inbound-Logistik bis hin zum Vertrieb, spiegelt längst nicht mehr die erfolgskritischen Bereiche moderner Unternehmen wider. Ohne Einkauf, IT und Personalwesen sind robuste, globale Lieferketten heute kaum noch zu gestalten. Traditionelle Prozesse, die primär auf Effizienz und Kostensenkung abzielen, reichen schlichtweg nicht aus, um den vielfältigen globalen Herausforderungen standzuhalten:

Schmidt & Felser  (Deutschland in der Effizienzfallezeigen, dass viele Unternehmen in eine Effizienzfalle tappen und so die Qualität ihres Produktportfolios gefährden. Die einseitige Fokussierung auf Effizienz untergräbt die Widerstandsfähigkeit und hindert Unternehmen daran, dringend benötigte, zukunftssichere Geschäftsmodelle zu entwickeln – eine Bedingung für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und insbesondere der Druckgussbranche.

Das Cradle-to-Cradle-Modell (Cradle-to-Cradle Model?verdeutlicht diesen Zusammenhang: Mit klassischen zirkulären Maßnahmen wie Recycling und Reduktion versuchen Unternehmen oft lediglich, „weniger unnachhaltig“ zu sein – mehr erlaubt das Effizienzdenken nicht. Zwar haben uns diese Ansätze am Anfang des Klimawandels Vorteile gebracht, doch heute stehen vor allem Industrien mit hohem CO₂-Fußabdruck wie die Druckgussindustrie vor der Herausforderung, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die weitergehende R-Strategien wie Rethink, Reuse oder Upcycling umfassen. Reuse ist beispielsweise eine zentrale Maßnahme, die den CO₂-Fußabdruck um mehr als ein Drittel senken und dazu beitragen kann, Plastikmüll bis 2040 erheblich zu verringern (UNEP, 2023, Turning off the Tap). Was für die Kunststoffindustrie gilt, sollte auch für die Druckgussbranche Realität werden. 

 

2. Strategische Beschaffung als Schlüssel zur Nachhaltigkeit

Vllena & Gioia (Eine nachhaltigere Lieferkette) betonen, dass die strategische Beschaffung eine Schlüsselrolle in der nachhaltigen Transformation einnimmt. Eine zukunftsfähige Lieferkette muss konsequent auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sein, und diese Ausrichtung beginnt bereits bei der Auswahl der Zulieferer. Beschaffung ist daher weit mehr als eine operative Funktion – sie ist ein integraler Bestandteil der strategischen Unternehmensführung, besonders vor dem Hintergrund wachsender Anforderungen aus der Nachhaltigkeitsgesetzgebung. Gesetze wie das LkSG oder die CSRD sind „Machergesetze“ und schaffen damit die Rahmenbedingungen, um ökologisch- und sozialverträgliche Lieferketten in der Praxis umzusetzen. Doch dies gelingt nicht ohne gezielte Maßnahmen in der strategischen Beschaffung:
  • Enge Partnerschaften mit Lieferanten: Für den Aufbau stabiler und nachhaltiger Beziehungen müssen Unternehmen verstärkt mit ihren Lieferanten zusammenarbeiten. First-Tier-Lieferanten sollten aktiv in die nachhaltige Beschaffungsstrategie und die Ziele des Beschaffers mit eingebunden werden. So kann die Verantwortung für das Nachhaltigkeitsmanagement in der tieferen Lieferkette auf die First-Tier-Lieferanten übertragen werden. Diese Vorgehensweise stärkt auch die Resilienz eines Unternehmens im Hinblick auf die Anforderungen der EU-Lieferketten-Richtlinie (CSDDD), da sie die gesamte Wertschöpfungskette unter die Lupe nimmt. Eine solche Partnerschaftsfokussierung fördert branchenweite Nachhaltigkeitsstandards und erleichtert allen Stakeholdern in der vorgelagerten Lieferkette die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien.

  • „Partnership is the New Leadership“: Neben intensiven Partnerschaften mit Lieferanten sollten internationale Organisationen und NGOs nicht vernachlässigt werden. Sie unterstützen den Einkauf bei der Datengewinnung und -sicherung, etwas, das klassische KI-Tool-Anbieter bisher nicht vollständig leisten. Ein neues Verständnis von Wettbewerb ist nötig: Unternehmen müssen bereit sein, auch mit Mitbewerbern zusammenzuarbeiten, um gemeinsam nachhaltige Lieferantennetzwerke aufzubauen. Nur so lassen sich langfristig Herausforderungen wie Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Rohstoffknappheit angehen – Themen von zentraler Bedeutung für die Druckgussindustrie. Nachhaltige Prozesse sind kein bloßer Wettbewerbsvorteil, sondern eine unverzichtbare Voraussetzung für die Zukunftssicherung der Branche.

 

3. Fazit: Herausforderungen und Chancen der Transformation

Die nachhaltige Transformation der Lieferketten in der Druckgussindustrie ist zweifellos anspruchsvoll, doch birgt sie auch enorme Chancen. Viele Unternehmen stecken in einer Effizienzfalle fest und müssen innovative, nachhaltige Prozesse einführen, um dieser zu entkommen. Laut der IBM-Studie "Beyond checking the box" (2024) sind Unternehmen, die ihre Lieferketten erfolgreich auf Nachhaltigkeit ausrichten, langfristig deutlich erfolgreicher: Sie steigern ihre Umsätze und Profitabilität im Vergleich zur Konkurrenz, werden als Arbeitgeber attraktiver und senken ihre Betriebskosten – entgegen der gängigen Annahme. Um diese strategischen Vorteile zu realisieren, müssen Unternehmen die Bedeutung der strategischen Beschaffung in diesem Transformationsprozess stärker anerkennen und fördern.
Damit steht die Druckgussbranche an einem entscheidenden Wendepunkt: Die Neugestaltung der Lieferketten und die Implementierung nachhaltiger Beschaffungsstrategien sind unumgänglich. Strategische Beschaffung ist der Schlüssel zum Erfolg dieser Transformation. Nur Unternehmen, die bereit sind, das reine Effizienzdenken hinter sich zu lassen und einen echten Mindshift hin zu nachhaltigem, innovativem Wirtschaften zu vollziehen, werden die Herausforderungen der Zukunft meistern und gleichzeitig einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Wirtschaft leisten.

Zwei Mikrofone werden von einer Frau gehalten

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Autor

Prof. Dr. habil. Lisa Fröhlich

Prof. Dr. Lisa Fröhlich

Prof. Dr. habil. Lisa Fröhlich Gründerin & Inhaberin ispira - Think Tank für nachhaltige Lieferketten