Interview mit Richard Oberle, Teil 2: „Manchmal muss man einfach ins kalte Wasser springen, damit man morgen dabei ist.“
1974 verließ Richard Oberle das beschauliche Elsenfeld in Unterfranken, um in Italien bei Idra Komponenten für Druckgussmaschinen zu entwickeln. Jahrzehnte später resultierte die Entscheidung von damals in der Erfindung der Giga Press, die auf dem Weg ist, den Automobilbau zu revolutionieren. Für seine Arbeit erhielt der heute 84-Jährige zusammen mit Fiorenzo Dioni den Europäischen Erfinderpreis. Im zweiten Teil des Interviews geht es um Oberles Sicht auf die Zukunft des Druckgusses.
Herr Oberle, der Trend geht in der Automobilindustrie zu immer größeren Druckgussteilen und -maschinen. Gibt es da aus Ihrer Sicht eine Grenze?
Richard Oberle: Vor zehn Jahren gab es schon einmal eine Kundenanfrage aus Amerika für eine Maschine mit 20.000 Tonnen Schließkraft. Wir haben gut nachgedacht, dann haben wir gesagt: Ja, wir können das tun. Der Auftrag wurde dann aber nicht erteilt. Gott sei Dank nicht, denn es wäre vielleicht ein zu großer Schritt geworden. Wir haben dann die ersten 9000-Tonnen-Maschinen gebaut und sie laufen hervorragend, sowohl hinsichtlich Mechanik als auch Hydraulik und Steuerung. Wir können darauf aufbauen und noch größere Maschinen bauen, wenn es der Markt verlangt. Ich denke, der Mensch wird immer versuchen, Größeres und Schöneres hervorzubringen. Ich bin mal gespannt, ob ich da noch dabei sein werde.
Es heißt, dass es in der Serienproduktion von ganz großen Druckgussteilen zu technischen Problemen kommt. Gehören Ausschuss und Stillstandzeiten einfach dazu oder gibt es Lösungen dafür?
Oberle: Bei herkömmlichen Steuerungen befindet sich ein Ventil auf der Stangenseite vom Einpresszylinder, mit dem die Geschwindigkeit kontrolliert wird. Wenn ich mit Hydrauliköl fahre, kann es einen Diesel-Effekt geben, das Öl entzündet sich. Und bei Wasser-Glykol-Gemisch, was meistens verwendet wird, kann sich durch die hohe Temperatur das Wasser vom Glykol trennen und riesige Druckspitzen erzeugen. Dadurch entstehen nicht nur Qualitätseinbußen bei den Gussteilen, sondern auch immer wieder Maschinenstillstände. Ventile oder Zylinder gehen kaputt, Dichtungen werden verbrannt und so weiter. Die „5S“-Steuerung wurde von mir entwickelt, gerade weil Stillstandzeiten hohe Kosten verursachen. Ein Dreikammer-Druckkissen sorgt hier dafür, dass ich die Betriebsbedingungen des Einpresszylinders immer beherrsche. 2018 haben wir den ersten Prototyp gebaut. Der läuft seit dieser Zeit in einer Gießerei in Italien – ohne Stillstand.
Gigacasting gibt es aktuell nur in der Automobilindustrie. Halten sie Anwendungen außerhalb für möglich und für wahrscheinlich?
Oberle: Möglich auf jeden Fall. Eine Anwendung sehe ich im Moment nicht, aber jetzt, wo es die Giga Press gibt, wird ein kluger Kopf schon mal drüber nachdenken. Der große Vorteil ist ja, dass ich nicht viele Teile herstellen und die mit allen möglichen Nieten, Schrauben oder durch Schweißen zusammenfügen muss. Das wird dazu beitragen, neue Denkansätze zu generieren.
Das heißt, es bräuchte einen Elon Musk auch in anderen Branchen?
Oberle: Da hat er etwas in Bewegung gesetzt, und das ist gut so. Wir können daraus lernen, etwa was die Entscheidungsfreudigkeit angeht.
Sehr große Gussteile werden in der Regel von den Automobilherstellern selbst produziert. Welche Auswirkungen könnte das auf die Zulieferer, also auf die traditionellen Gießereien, haben?
Oberle: Die Automobilindustrie hat seit jeher eigene Gießereien gehabt, aber sie hat sich immer wieder auf Zulieferanten abgestützt, weil sie Nachfrageschwankungen abfedern muss. Ich glaube, dass auch die Zulieferer sich darauf etwas einstellen werden. Klar, für Zulieferer wird's schwer, solche Investitionen zu tätigen. Aber vielleicht bilden sich dann Zusammenschlüsse, um so etwas zu machen. Manchmal muss man einfach ins kalte Wasser springen, damit man morgen dabei ist.
Sie sind jetzt 84 Jahre alt. Was möchten Sie der Druckgusswelt noch geben?
Oberle: Elon Musk sagt, die Maschinen müssten noch schneller werden. Ich sage: Das beherrscht man nicht mehr mit der heutigen Steuerung. Man muss die Steuerung neu denken. Und ich werde die Zeit nutzen, um das ein bisschen zu konkretisieren. Mal schauen, ob es gelingt, einen Prototyp zu bauen.
Man hat ja früher mit anderen Mitteln konstruiert als heute. Heute gibt es dafür Computer und KI. Beherrschen Sie diese Techniken?
Oberle: Computer ja, KI nein!
Dann haben Sie Ihre Ideen im Kopf und haben Leute, die das für Sie umsetzen?
Oberle: So ist das. So ist es gewesen und so ist es auch geblieben. Mich würde es interessieren, da ein bisschen einzusteigen, aber ich denke, mit dem Fundus von Erfahrung, den ich habe, kann man sehr viel optimal lösen.
Herr Oberle, vielen Dank für das Gespräch!