Druckguss von Autogroßteilen – ein potenzieller Wendepunkt?
31.08.2023 Lightweight Trend Fachbericht

Druckguss von Autogroßteilen – ein potenzieller Wendepunkt?

Das Druckgussverfahren (high-pressure die casting, HPDC), bei dem geschmolzenes Metall unter hohem Druck in eine Form gespritzt wird, wird in der Automobilindustrie üblicherweise für die Herstellung kleiner bis mittelgroßer Aluminiumgussteile verwendet. Jetzt haben jedoch Unternehmen wie Tesla den Einsatz auf die Herstellung größerer Autoteile mit komplexen Designs bis zu 1500 mm ausgeweitet, und andere Automobilhersteller fragen sich, ob sie diesem Beispiel folgen sollten. Der Einsatz von HPDC für große Autoteile ist ein potenzieller Wendepunkt - aber ist er für alle geeignet?

Bewegung der Fahrzeuge entlang der Produktionslinie
Der größte Anteil des HPDC-Marktes entfällt heute auf Automobilanwendungen. Das Verfahren ist bei der Herstellung von Fahrzeugverschlussteilen, Karosserieteilen, Fahrgestellen und Antriebsstranganwendungen in herkömmlichen Fahrzeugen üblich. Der Einsatz von HPDC wird jedoch auch durch neue Fahrzeugkonzepte und batterieelektrische Fahrzeugplattformen (BEV) vorangetrieben, bei denen Aluminiumgussteile im vereinfachten Karosseriebau weit verbreitet sind.

Entwicklung des Karosseriebauverfahrens

Neue, große Druckgusslösungen ermöglichen es den Automobilherstellern, eine komplette Rohkarosserie-Sektion aus viel weniger Teilen zu bauen. Tesla zum Beispiel baut sowohl die Front- als auch die Heckpartie seines Model Y als Einzelteile mit HPDC. Durch den Einsatz von HPDC können Automobilhersteller ihre Prozesse vereinfachen, die Kosten senken, die Qualität verbessern und die Schwankungen in ihren Produktionsprozessen reduzieren. Außerdem wird der Fahrzeugherstellungsprozess dadurch nachhaltiger, da der Prozess nun weniger Energie benötigt und recyceltes Aluminium verwendet werden kann.

HPDC wird potenziell enorme Auswirkungen auf die Industrie haben, da sich der Karosseriebauprozess weiterentwickelt. Große Druckgussteile bedeuten, dass 70 bis 100 Teile durch ein einziges Teil ersetzt werden können – zum Beispiel die komplette Fahrzeugfront- oder -heckpartie. Das reduziert die Produktionskomplexität für die Automobilhersteller massiv.
Bernhard Langefeld
Wir schätzen, dass die Autohersteller ein Produktionsvolumen von 250.000 bis 350.000 Fahrzeugen pro Modell und Jahr benötigen, damit HPDC eine attraktive Option ist – Voraussetzung jedoch ist, dass beim Teiledesign das Herstellverfahren berücksichtigt wird. 
Bernhard Langefeld, Senior Partner, Roland Berger

Auf den Spuren von Tesla?

Bei der Herstellung neuer Autos wie dem Tesla Model Y, dem Maserati Grecale SUV und der nächsten Generation der Volvo-Elektrofahrzeuge werden nur wenige große, hochkomplexe Gussteile aus Aluminiumlegierungen verwendet. Der Lieferant der Druckgusspressen – die Idra-Gruppe in Italien – arbeitet nach eigenen Angaben derzeit mit rund einem halben Dutzend anderer Autohersteller zusammen, die dem Beispiel von Tesla folgen.
Karosserien stehen am Fließband für die Produktion
Die möglichen Einsparungen dank der neuen Technologie sind beeindruckend. Große Druckgussteile können Hunderte von Schweißrobotern und mehrere Prozessroboter ersetzen, die für andere Produktionsprozesse im Karosseriebau benötigt werden, wodurch die Produktionskomplexität verringert und die Effizienz verbessert wird. So kann die Gesamt-HPV (Hours per Vehicle) im Karosseriebau um etwa ein Viertel gesenkt werden. Die geschätzten Kosteneinsparungen belaufen sich auf bis zu 40 Prozent. 
Gleichzeitig revolutioniert der Einsatz von Aluminiumdruckguss die Art des Karosseriebaus, da der Bereich Unterbodenherstellung weitgehend entfällt und die Zahl der benötigten Mitarbeiter, Roboter, Pressen, Arbeitsschritte und Pufferbereiche deutlich reduziert wird. Die Autohersteller können den dadurch frei werdenden Platz zur Kapazitätserweiterung oder zum Aufbau neuer Produktlinien nutzen.

Vor- und Nachteile

Ist die Einführung von HPDC für große Automobilteile damit ein Selbstläufer? Nicht wirklich. Die Automobilhersteller müssen mehrere Faktoren sorgfältig abwägen, bevor sie eine Entscheidung treffen, vor allem, wenn diese mit größeren Investitionsausgaben verbunden ist. Auf der Habenseite steht, dass HPDC die Komplexität der Produktion reduziert, die Investitionsausgaben (CAPEX) im Vergleich zu herkömmlichen Karosseriebauanlagen senkt und weniger Platz im Karosseriebau beansprucht. Es bietet den Automobilherstellern kürzere Zykluszeiten und im Allgemeinen eine bessere Produktqualität und -konsistenz. Nachteilig ist, dass die Kosten für die verwendeten Materialien hoch sind und das Verfahren nur eine begrenzte Flexibilität bietet. Allerdings sind die Gesamtbetriebskosten für die Autobauer, d. h. die anfänglichen CAPEX einschließlich der Betriebskosten (OPEX) und der Materialkosten, im Vergleich zum traditionellen Karosseriebau relativ niedrig. 

Hinzu kommt, dass die Automobilhersteller im Allgemeinen wenig oder gar keine Erfahrung mit dem neuen Produktionsverfahren für das Gießen großer Teile haben, sodass ein "technologisches Risiko" besteht. Auch in Bezug auf den Aftermarket tappen sie im Dunkeln. Die Entscheidung, ob die Technologie für große Automobilteile eingesetzt werden soll, ist nicht immer einfach – und die Automobilhersteller können während des Entscheidungsprozesses von den Erkenntnissen und der Unterstützung durch Experten profitieren.
PDF zum Download
Laden Sie hier das PDF in englischer Sprache mit vertiefenden Informationen zum Einsatz von HPDC in der Automobilindustrie und der Analyse von Roland Berger zu den Vor- und Nachteilen der neuen Technologie herunter. 
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Autor

Bernhard Langefeld

Bernhard Langefeld

Roland Berger
Michael Rüger

Michael W. Rüger

Roland Berger
Rolf Janssen

Rolf Janssen

Roland Berger
Frederik Heuvel

Frederik Heuvel

Roland Berger