Imageschaden aufarbeiten — Schneller, höher, weiter für Millennials in der Gießereiindustrie
Der europäische Produktionsstandort wurde in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt, sagt Caspar Braun, Drittplatzierter des EUROGUSS Talent Awards. Gemeinsam mit Julia Dölling, die den ersten Platz belegte und Jonas Arimont, Zweitplatzierter, spricht er über die Zukunft seiner Branche.
Zum zweiten Mal nach 2020 wurden in diesem Jahr auf der EUROGUSS mit dem EUROGUSS Talent Award die besten Bachelor- und Masterarbeiten der Druckgusstechnologie prämiert. Gewonnen hat: Julia Dölling, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für leistungsfähige Werkstoffe der DHBW Stuttgart und Doktorandin am Institut für Metallformung der TU Bergakademie Freiberg, mit ihrer Masterarbeit „Fließfähigkeit von Aluminium-Silizium-Druckgusslegierungen“, die sie während ihres Studiums der Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart bei der AUDI AG in Neckarsulm bearbeitete. Als Doktorandin im Bereich der Werkstoffentwicklung wird sie von Prof. Dr.-Ing. Andreas Zilly (WIW, DHBW Stuttgart) und Prof. Dr.-Ing. Ulrich Prahl (IMF, TU Bergakademie Freiberg) betreut.
Die nachfolgenden beiden Preise gingen jeweils an Gießereitechnik-Abschlussarbeiten der Universität Kassel: Jonas Arimont, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet für Gießereitechnik an der Universität Kassel belegte den zweiten Platz und Caspar Braun, Ingenieur bei der Kasseler Revolute GmbH, den dritten.
Nach der Preisverleihung sitzen Julia Dölling, Jonas Arimont und Caspar Braun zusammen und sprechen über das, was kommen wird. Ein Gesprächsmitschnitt.
Ihr haltet die drei besten Abschlussarbeiten der Druckgusstechnologie in den Händen. Wie blickt ihr auf eure bevorstehende Karriere in der Gießereibranche?
Jonas Arimont: Die größte Herausforderung unserer Zeit ist der bevorstehende Wandel der Industrie mit Blick auf die Klimakrise. Die Gießereibranche ist eine energieintensive Branche. Es liegt jetzt an an uns, Prozesse wie Wärmenachbehandlung möglichst ressourcen- und energieeffizient zu gestalten. Und dabei müssen wir gleichzeitig schaffen, dass unsere Produkte wirtschaftlich bleiben. Gerade hier in Europa hat die Industrie den Nachteil, dass die Strompreise sehr hoch sind. Der Wandel muss also passieren, ohne dass die Produktionskosten weiter steigen. Erschwerend kommen die steigenden Materialkosten hinzu. Das alles unter einen Hut zu bekommen, wird für unsere Generation ein Kraftakt werden. Der Transfer muss so schnell wie möglich passieren.
Caspar Braun: Die steigenden Materialpreise sind aber auch eine Chance für die Gießereitechnik. Gegenüber anderen Verfahren ist die Materialauslastung vergleichsweise hoch. Als Thema kommt für uns aber auch der Wegfall des Verbrennungsmotors dazu. Es wird wichtig sein, andere Bereiche zu erschließen.
Julia Dölling: Ich stimme Jonas zu. Die Gießereiindustrie und das, was daran hängt, ist sehr energieintensiv. Die Suche nach neuen Ansätzen zum Betrieb der Anlagen wird die Zukunft mitbestimmen. Die Nutzung erneuerbarer Energieträger wird essenziell. Generell entwickelt sich die Industrie so schnell. Aktuelle Forschungsthemen aus der Digitalisierung werden Eingang in die Industrie finden.
Eure Ausbildung und euer Berufsstart ist in Deutschland. Und jetzt? Seht ihr hier eure Zukunft?
Jonas Arimont: Für kleinere und mittlere Betriebe in Deutschland ist es sicherlich eine Herausforderung, auch mal Dinge auszuprobieren. Zu testen, wie sie ihre Produktion umstellen können, ist ohne finanziellen Spielraum schwierig. Gleichzeitig stehen wir vor einer wahnsinnigen Chance: Die jetzige Zeit sollte genutzt werden, um neue Wege und Produkte zu entwickeln und diese entsprechend zu vermarkten.
Caspar Braun: Ich glaube auch, dass der Trend eher wieder weg von der Globalisierung geht, gerade was die Zuverlässigkeit und die Unsicherheiten angeht. Beispiele der letzten Monate: Suez-Kanal, Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine. Ich glaube, viele Firmen sind deshalb wieder gewillter, in Europa zu produzieren. Europa ist immer noch einer der größten Binnenmärkte. Sicherheit ist wieder ein wichtigerer Faktor, der die letzten Jahrzehnte stark vernachlässigt wurde. Jetzt macht die europäische Sicherheit den Kontinenten als Standort wieder interessant.
Julia Dölling: Ich habe in Deutschland eine sehr gute Bildung genossen. Das weiß ich sehr zu schätzen. Der Bildungsweg steht hier allen offen. Maschinenbau scheint für Studienanfänger momentan nicht so attraktiv zu sein. Ich hoffe, die Ausbildung gewinnt wieder an Zulauf. Trotzdem: Industriedeutschland bringt mit unserem Bildungssystem viele junge und intelligente Köpfe hervor.
Wie schaffen es die jungen und intelligenten Köpfe dann in die Gießereiindustrie?
Jonas Arimont: Bei Maschinenbau denkt man an Maschinen. Aber beim klassischen Maschinenbau, in dem man sich Maschinen überlegt und baut, sind wir nicht mehr. Vielmehr geht es um Programmierung, Simulation oder Prozesssteuerung. Gerade bei der Gießereitechnik ist das Imageproblem noch größer, weil der Prozess tausende von Jahren alt ist und viele Schüler wahrscheinlich gar nicht wissen, was Gießereitechnik im modernen Kontext bedeutet und wo die Produkte verwendet werden
Caspar Braun: Für die Leute, die jetzt anfangen zu studieren, ist der Klimawandel wichtig. Den Maschinenbau verbindet man generell mit Konsum und negativen Einflüssen. Auch der Imageschaden aus der Automobilindustrie ist letztendlich bei der jungen Generation angekommen. Wer will da mitmachen? Dabei wäre genau das die Chance: Es geht in der Industrie jetzt vielleicht mehr als irgendwo anders um Effizienz und um Fortschritt. Das muss jungen Menschen gegenüber herausgestellt werden. Wenn sie ändern wollen, wie die Welt ist, ist Maschinenbau ein guter Anfang.
Julia Dölling: Wenn man aus der Schule kommt, kennt man ja nur das, was man schon gesehen hat. Dinge aus dem alltäglichen Leben also, die greifbar sind. Einige haben im Elternhaus Kontakt mit Maschinenbauthemen. Die Gießereitechnologie ist ansonsten für junge Menschen kaum sichtbar. Woher soll ich dann wissen, dass ich in diese Richtung gehen möchte, wenn ich gar nicht weiß, dass es das gibt. Die Teile, die wir fertigen, sind meist versteckt verbaut und erst sichtbar, wenn man das glänzende Kunststoffteil entfernt.
Jonas Arimont: Überall sind Gussteile vorhanden, aber man sieht sie nicht. Für mich war früh klar dass ich Maschinenbau studieren will. Das steckt vielleicht auch in der Familie. Mein Vater war Maschinenbauer, mein Opa war Maschinenbauer; beide zeitweise auch in der Gießereitechnik. Ich habe mich schon immer für Technik interessiert, aber nicht so sehr für Elektrotechnik und Programmierung. Ich wusste deshalb früh, dass ich in den Maschinenbau gehen möchte.
Caspar Braun: Ich hatte schon immer Kontakt mit Maschinen und habe immer alles repariert. Es war immer spannend, in ein System zu gucken und zu verstehen, wie die Mechanik funktioniert. Maschinenbau trifft meine Art zu denken gut.
Julia Dölling: Ich habe Luft- Und Raumfahrttechnik studiert weil ich ursprünglich Aerodynamikerin werden wollte. Über Praktika im Automobil- und Motorsportbereich bin ich an die Herausforderung einer Gießsimulation gelangt. Das Simulieren ist hoch anspruchsvoll, die Interaktion mit Werkstoffkennwerten essentiell. Darüber bin ich bei den Werkstoffen gelandet. Die experimentelle Arbeitsweise habe ich dort sehr zu schätzen gelernt und möchte sie gerade nicht mehr missen. Täglich Spaß an der Arbeit - das ist wichtig. Und noch etwas habe ich gelernt: Die Frauen, die mit mir angefangen haben, machen ihr Studium auch zu Ende. Die wollen das.
Dass Guss zum Anfassen ist, schreibt sich die Branche gerne auf die Fahne. Aber wie kann das im Studium umgesetzt werden?
Caspar Braun: Der Praxisbezug hat total gefehlt.
Jonas Arimont: Das ist ein Feedback, das ich teilweise schon von Professoren bekommen habe. Oft wurde festgestellt - zumindest bei uns an der Universität Kassel - dass die Studierenden durch das Studium durchrennen und möglichst schnell versuchen, ihren Abschluss zu bekommen, ohne nach links und rechts zu schauen. Damit fehlen ihnen nicht nur Praxiserfahrungen, sondern auch wichtige Kontakte in die Industrie. Das fällt vielen später auf die Füße, wenn sie in einen Job einsteigen, ohne vorher den nötigen Praxisbezug gehabt zu haben.
Caspar Braun: Ich beobachte einen geschärften Blick auf die Regelstudienzeit. Das war, als wir angefangen haben, noch nicht so.
Jonas Arimont: In keinem Bewerbungsgespräch wurde ich auf die Semesteranzahl meines Studiums angesprochen. Die Erfahrungen aus Praxistätigkeiten sind viel relevanter.
Caspar Braun: Die größte Stärke des deutschen Bildungssystems ist der Praxisbezug. Wie in der Ausbildung. Warum kriegt man das im Studium nicht hin? Das ist die größte Ironie.
Julia Dölling: Es wird alles schneller, höher, weiter. Man hat das Gefühl diese Geschwindigkeit bestehen zu müssen.
Caspar Braun: Die, die jetzt fertig werden, sind immer weniger bereit, Führungspositionen einzunehmen und Verantwortung zu übernehmen. Das sollte man im Studium gelernt haben: Verantwortung für sein Studium, für die eigene Bildung übernehmen und sich nicht blind an eine vorgesetzte Regelstudienzeit halten. Praxiserfahrung sollte nicht verpflichtend sein. Aber man muss Studierende ermutigen, ihren eigenen Weg im Bildungssystem zu gehen.